Sonntag, 4. November 2012

Renes kleines Manifest. Oder: Die Fliehkräfte dieser Welt.

Es ist nicht anmaßend zu behaupten, dass die Welt momentan Fliehkräfte erlebt, denen sich ihre Bevölkerung bisher noch nicht ausgesetzt gesehen hat. Zum Einen, weil Dank Facebook, Twitter und Co. langsam so etwas wie ein wahres globales Kollektiv entsteht. Zum anderen aber auch, weil die weltweiten Bünde der Menschen die Ereignisse wesentlich nahbarer machen als noch zur Mitte des letzten Jahrhunderts, da sich Beziehungen immer stärker über den Globus ausbreiten. Schön kann das sein. Jedoch ist dieses kollektive Erleben besonders in Zeiten ausgeprägt, die durch Leid gekennzeichnet sind. So war 9/11 wohl weltweit das erste Ereignis, das das Gros der Menschheit betroffen machte. Und der gesteigerte Zugang zu mehr oder minder verlässlichen Nachrichten scheint das Momentum der Fliehkräfte unentwegt zu steigern.
Klimaschutz vs. wirtschaftliche Prosperität. Arabischer Frühling vs. nicht einzuschätzende neue Regierungen. Verknappung natürlicher Ressourcen vs. fortschrittlichere Fördermethoden. Sanktionierung der iranischen Regierung vs. Schonung der iranischen Bevölkerung. Atomausstieg vs. steigende Strompreise. Pakistan vs. Indien. Datenschutz vs. Online Communities. Und viele weitere. Gewiss, mitnichten muss es sich dabei unentwegt um Gegensätze handeln. Doch viele verlangen eine Positionierung ab. Eine Positionierung eines jeden einzelnen. Aber auch der Regierungen und Staatengemeinschaft. Letzteres scheint Utopie. Zu pluralistisch sind die Interessen, zu verschieden der Wertekanon. Dabei begegnet der aufstrebende Teil dieser Welt, von Indonesien bis Brasilien den sogenannten westlichen Maximen noch mit einer Art Befremden, obschon das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Wahl der Religion universelle Werte sind. Und somit hat die Verbreitung vom Bild des freien Bürgers um den Globus dafür gesorgt, dass sich eine ganze Generation in den Maghreb-Staaten, sowie im mittleren und nahen Osten, gezwungen sah, sich ihrer totalitären Regime zu entledigen. Mit einer verblüffenden Widerstandsfähigkeit selbst gegenüber militärischer Gewalt für die eigene Person und der Nation die Freiheit zu erkämpfen. Zur Zeiten des Kalten Krieges wäre eine solche Bewegung, insbesondere aber ihre Schlagkraft, nicht möglich gewesen. Der Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei hat dies bedauerlich bewiesen. Den Revolutionären jedoch mangelnden Kampfesgeist zu diagnostizieren, wäre anmaßend. Vielmehr waren die ehemaligen Satellitennationen der UdSSR nicht im Visier einer empathischen Weltgemeinschaft. Das erlaubte ihnen, ungesehen oder zumindest ungeachtet, dem Freiheitsstreben ihrer Bürger ein jähes Ende zu bereiten. Sicher, den Tunesiern, Ägyptern und allen anderen befreiten Nationen hat nicht die Empathie der Welt zum Sieg verholfen. Und dennoch konnten sich die Diktaturen nicht den Fliehkräften einer globalisierten Welt entziehen. Folglich sind diese Kräfte nicht nur Anlass für innere, sondern auch äußere Konflikte und Dilemma. Es sind diese Fliehkräfte, die nicht nur dem biblischen Jesus den Wunsch nach einem Weltfrieden auf die Lippen schrieben, sondern auch allen Generationen nach dem zweiten Weltkrieg inhärent geworden sind. Seitdem nicht nur Modells auf Laufstegen ihren Traum vom Weltfrieden proklamieren, ist es auch en vogue dafür zu kämpfen. Denn das Streben nach Gleichberechtigung, Autarkie und Glück ist allen gemein. Die Gefährdung des individuellen Wohlstands hindert die Mehrheit jedoch daran, diesem Wunsch durch Taten Ausdruck zu verleihen. Meiner Meinung nach ist dies letztlich auch der Grund dafür, dass Brutstätten des Bösen, wie Terrorismus entstehen. Weder sind es die im Himmel versprochenen Jungfrauen, noch sind es garantierte Boni, die dazu führen, dem Wohl der Allgemeinheit zuwider zu handeln. Vielmehr sind es, und eine Bewegung namens Occupy scheint dies in Ansätzen verstanden zu haben, existenzielle Nöte, die dem Menschen vergessen machen, dass wir friedfertige Wesen sein wollen. Homo homini lupus gilt nicht mehr. Zwar ist es illusorisch zu behaupten, ein jeder sei Gutmensch und verbreite Liebe. Zumal weltweite Zuwiderhandlungen gegen eine freie Demokratie zeitweilig zunehmend sind. Dennoch ist insbesondere der Klimaschutz ein Zeichen dafür, dass sich Menschen über die Belange ihrerselbst und die ihrer Generation zum Wohle des Planeten engagieren - ohne unmittelbaren Nutzen für ihre Person. Die Verbundenheit zur Natur fußt auf dem Urinstingt von Geben und Nehmen, innerer sowie äußerer Balance (ohne esoterischen Schnickschnack!). Die Rückkehr zu diesem Instinkt suggeriert das Überwinden individueller existenzieller Nöte und ist einmal mehr ein Zeichen für die Fliehkräfte der Globalisierung. Denn Klimaschutz ist global. Es mutmaßt an, dass wir mit dieser Rückkehr uns unserer Vorfahren und den Urvölkern wieder annähern. Die Überwindung einer Entfremdung als Versuch, das Momentum globaler Diversität zu entschleunigen. Ursächlich für diese Entfremdung ist, auch wenn es stereotypisch erscheint, der Kapitalismus. Nun bin ich bei Weitem kein Kapitalismusgegner - ganz im Gegenteil verehre ich die Errungenschaften, die er mit sich brachte und bringen wird. Und nur Dank des Kapitalismus entstand Globalisierung, die Wohlstand um den Globus trägt. Und doch war die Erkenntnis, dass sich ein individueller Mehrwert schaffen lässt, wenn über die eigenen Bedürfnisse hinaus produziert wird und die Güter der Gemeinschaft feilgeboten werden, wohl der Anlass sich nicht mehr mit dem zu genügen, was man selbst zum Leben benötigt. Und schließlich avancierte dieser Mehrwert zum für das eigene Leben Benötigten. Ein Kreislauf war in Gang gesetzt und die Formel nach Angebot und Nachfrage war geboren. Und wie das Wort Mehrwert veranschaulicht, wurde das Mehr zum Mantra ganzer Epochen. Es mündete in Kriegen und gar der Erschaffung von Religionen. Denn die Verheißungen eines Mehr versprechen individuellen Wohlstand. Und nur durch die Überwindung existenzbedrohender Umstände, war es der Menschheit beschieden, sich den barbarischen Fesseln der Vorzeit zu entledigen. In der Konsequenz bedeutet dies jedoch nicht, dass dieses Mantra für alle Ewigkeit Geltung haben wird. Sicher, Wachstum, insbesondere im wirtschaftlichen Sinne, ist aufgrund der heutigen Beschaffenheit von Staaten notwendig, schlicht schon um Ärmeren Prosperität zu ermöglichen oder die steigenden Gesundheitsausgaben finanzieren zu können. Die Besinnung auf das Notwendige, auch auf fiskaler Ebene, wird jedoch zu einer Entschleunigung der Fliehkräfte führen. Dabei werden wesentliche Wachstumtreiber bisher weitestgehend vernachlässigt: persönliche Entfaltung, Frieden und Glück. Wenn diese Faktoren auch auf staatlicher Ebene zu Handlungsmaximen erhoben werden, gelingt es, dem individuellen Traum von ebendiesen Werten einen institutionellen Rahmen zu verschaffen und über die Grenzen der persönlichen Reichweite hinauszutragen. Mit Hilfe der weltweiten Fliehkräfte könne somit nach der sogenannten Demokratisierungswelle, eine ebenso starke Glückswelle rauschen. Der Staat als solches ist ein Konstrukt gemacht und gesteuert von Menschen. Er garantiert die Sicherheit seiner Bürger indem sich Bürger dafür einsetzen. Auch wenn dies nicht ausschließlich einer altruistischen Einstellung geschuldet ist, sind Volksvertreter die Multiplikatoren für des Volkes Wille. Und somit wird jede Wahl Ausdruck für die Fliehkräfte innerhalb des Wahlvolkes. Obwohl sie dies somit zu Getriebenen macht, verfügen Volksvertreter über die nötige Machtfülle, die Wünsche ihrer Bürger im institutionellen Rahmen umzusetzen. Fehlt also nur noch der Katalysator, dem Wunsch der Menschen nach Frieden und Glück auf den Wahlzettel zu verhelfen. Und dieser befindet sich einmal mehr in jedem selbst. Wenn die äußeren Gegebenheiten es zulassen, also die Unterdrückung zu stark ist, oder die Grundbedürfnisse ausreichend befriedigt sind, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Mehr im rein immateriellen Sinne. Die Sensibilisierung für die Nöte der Mitmenschen auf dem Planeten, geschuldet dem ungehinderten Informationsfluss, oder die Beispielnahme am Wohlstand Anderer im freitheitlichen Sinne, wecken den Wunsch sich auf das Unmittelbare zu besinnen, also die Befriedung des eigenen, den persönlichen Sphären zugänglichen Umfelds. Zugegeben, es widerspricht zum Teilen einer globalen Empathie. Doch ist der Mensch nur im Stande im Kleinen zu bewirken, was er im Großen wünscht. Somit sind Spenden und andere caritative Handlungen zwar Ausdruck eines hilfsbereiten Wesens. Allerdings ist der Frieden nur zu erlangen, wenn ein jeder diesen für sich selbst sucht und für ihn einzustehen bereit ist. Sei es nun durch Löschen seines Facebook-Accounts, oder durch das Demonstrieren auf dem Tahrir Platz.

Donnerstag, 10. Mai 2012

RIP Griechischer Euro

Unverzüglicher Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ist unvermeidbar

Das Gezerre um Griechenland nimmt kein Ende. Seit dem Aufdecken des massiven Haushaltsdefizits im Herbst 2009 dreht sich die europäische Schuldenkrise weitestgehend um die Hellenen. Und somit auch die Rettungsbemühungen der EU und des IMF, sowie die Garantien europäischer Steuerzahler.

Seit Heraufziehen der Krise ist Griechenlands Rating von BBB+ auf CCC (S&P) gesunken – „extremely speculative“ im Fachjargon also. Und so muten auch die Rettungsmaßnahmen an. Nicht nur, dass viele Bundestagsabgeordnete keine Ahnung hatten, welche Geister sie nun rufen – teils auch beabsichtigt in Unwissen belassen, nimmt die Bereitschaft in der Koalition und Bevölkerung rapide ab, weitere Maßnahmen zu billigen.

Und so kam es, dass das erste Hilfsprogramm im April 2010 als ein großverkündeter Rundumschlag gegen die Finanzmärkte gefeiert wurde. 110 Milliarden Euro. Das war wohl nichts. Genauso wenig wie die mutmaßlich konstruktiven Vorschläge aus dem Lager Stammtisch: der Verkauf griechischer Inseln war ebenso im Gespräch wie der Export griechischen Solarstroms nach Deutschland und deutschen Rentnern ihren Urlaub in der Nebensaison in Griechenland schmackhaft zu machen.

Alles heiße Luft, so dass im Juli 2011 die Aufstockung des Rettungspakets um weitere 109 Milliarden Euro beschlossen wurde. Darüber hinaus haben sich auch private Gläubiger einen Verzicht auf 37 Milliarden Euro aus den Rippel leiern lassen.

Damals wie heute wurden anlässlich jeder einzelnen Schreckensnachricht aus Griechenland Austrittsrufe laut – raus aus dem Währungsraum, raus aus der EU! Letzteres jedoch weniger als Drohung, denn als notwendige Konsequenz aus Vertragslücken im Regelwerk. Solchen Rufen wurde jedoch mit Hilfe einiger, aus damaliger Sicht nachvollziehbarer Gründe eine Abfuhr erteilt:
  1. Der Austritt schafft einen unkontrollierbaren Präzedenzfall, die Folgen seien unabsehbar.
  2. Die Ansteckungsgefahr für den restlichen maladen Währungsraum könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen.
  3. Die Gläubiger müssten mit einem kompletten Zahlungsausfall Griechenlands rechnen.
  4. Griechenland entzöge sich damit jeglicher Kontrolle von außen.
  5. Ein Wiedereintrittsszenario war bis dahin noch nicht entworfen worden.
  6. Und letztlich die Psychologie der Teilnehmer: das Eingestehen einer Niederlage, die Kapitulation vor den Märkten, die Hoffnung gestärkt aus der Krise hervorzugehen und den Euro als Ganzes zu retten.
Nun denn, auch die weiteren Rettungsversuche fruchteten wenig. Der Lebensstandard der griechischen Bevölkerung sinkt rapide. Es gab Tote bei Demonstrationen in Athen. Die Märke beruhigten sich keineswegs. Und die Solidargemeinschaft sah sich im März diesen Jahres erneut gezwungen, dem griechischen Fiskus unter die Arme zu greifen: 130 Milliarden Euro Kreditzusagen und der Verzicht privater Gläubiger auf 85,5 Prozent ihrer Forderungen.

Die Rettungsmaßnahmen von außen gehen einher mit massiven Sparbemühungen der hellenischen Regierung: 3 Sparpakete und die Ankündigung eines weiteren haben die griechische Konjunktur in einen unaufhaltsamen Abwärtsstrudel gestürzt. Doch nicht nur die Konjunktur unterliegt dem Schicksal griechischer Sparpolitik, auch die internationalen Geldgeber sind auf Gedeih und Verderb mit der Entwicklung des Inselstaates verbunden. Die Reduktion der Gesamtverschuldung auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2020? Keinesfalls sicher.

Und jetzt das: der Ausgang der Wahlen am Sonntag verheißt nichts Gutes. Die pro-europäischen sparwilligen Volksparteien sind abgewählt und koalitionsunfähig. Außengruppierungen, links als auch rechts, geben den Ton an. Und der ist mitunter wenig kompromissbereit. Abermals ist Europa gelähmt von den Entwicklungen in einem 11 Millionen Einwohner Land, dessen Anteil am EU-BIP nicht einmal 3 Prozent beträgt. Die Wahlentscheidung einiger weniger beeinflusst die Politik in der gesamten Union, fesselt die Märkte, bestimmt die Agenda monetärer Institutionen und betrifft letztlich auch jeden einzelnen Steuerzahler.

Diese Einflussnahme muss nun endgültig beendet werden. Griechenland darf zwar nicht alleine seinem Schicksal überlassen werden, doch die Vergemeinschaftung dessen ist nicht weiter tragbar. Die Hellenen müssen den Euroraum und die Union verlassen – wenn nicht aus freien Stücken, dann gezwungenermaßen. Der Versuch ein krankhaftes Körperteil zu genesen ist nur insoweit nachvollziehbar, bis er nicht droht, den gesamten Organismus abzutöten. Das Gegenmittel der Medizin: Amputation. Denn die Gesundung des Euroraums steht auf dem Spiel, da sich die Märkte nicht beruhigen, die Mittel aus IMF, ESM und EFSF ins bodenlose Fass Griechenland fließen und die Europäer insgesamt nicht aus ihrem Krisentief kommen.

Aus heutiger Sicht spricht, die obigen Punkte wieder aufgreifend, nichts gegen eine Abkopplung der Griechen.
  1. Der Verbleib Griechenlands in der Union ist mittlerweile unkontrollierbarer als dessen Ausschluss (siehe Wahlen). Der Best Case sieht eine Entschuldung bis auf 120 Prozent des BIP bis 2020 vor. Die letzten 2 Jahre beweisen, eine Planung über 8 Jahre ist völlige Utopie.
  2. Spanien, Italien etc. haben eigene Entschuldungsagenden, welche bis auf wenige Ausnahmen stringent und erfolgreich verfolgt werden. Zwar bleibt die konjunkturelle Entwicklung größtenteils hinter den Erwartungen zurück, dennoch sind es die Nachrichten aus Griechenland, die die Blicke der Märkte immer wieder auf die anderen Staaten lenken und das Unsicherheitsniveau hochhalten.
  3. Mit dem Verzicht von 85,5 Prozent ihrer Forderungen haben die Gläubiger bereits auf das Gros griechischer Verbindlichkeiten verzichtet. Unabhängig von etwaigen bestehenden Kreditausfallversicherungen mancher Gläubiger, ist der Verzicht auf die übrigen 14,5 Prozent durchaus zu verkraften.
  4. Der Austritt Griechenlands darf nicht zur Folge haben, dass Verbindlichkeiten gegenüber IMF und EFSF nicht weiter bedient werden. Ein Verzicht der Privatgläubiger, also vornehmlich Banken, darf für EFSF & Co. nicht gelten. Andernfalls würden die griechischen Verluste allen europäischen Steuerzahlern aufgebürdet werden. Dies ist nach bestehenden Verträgen verboten, denn Artikel 125 des Lissabonner Vertrags sagt unmissverständlich „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen […]“. Somit haben die Institutionen weiterhin die Möglichkeit, Einfluss auf die griechische Regierung zu üben und die Einhaltung des Sparkurses zu überwachen.
  5. Ein Wiedereintrittsszenario fehlt weiterhin. Ehrlicherweise ist jedoch auch keines notwendig. Denn seit der Einführung des Euro 2001 ist die Euro-Zone von 12 auf 17 Mitglieder angewachsen. Dabei geriet keines der Mitglieder seit 2001 so sehr ins Straucheln wie Griechenland. Analog zu diesen Staaten ließe sich auch in Griechenland der Euro wieder einführen.
  6. Hier liegt wohl die größte Herausforderung: das Eingestehen eines Scheiterns der Währungsunion als Ganzes. Doch Tränen darüber zu verlieren wäre reine Heuchelei. Dass Bevölkerung, Politik und EZB dem Übel der Hellenen Leid sind, lässt sich nicht nur an den halbherzigen Ermahnungen nach den Wahlen am Sonntag, den Sparkurs weiterhin zu verfolgen, ablesen. Auch die Bereitschaft ein dringend notwendiges Wachstumsprogramm zu entwickeln ist äußerst gering. Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsmarkt sind eben kurzfristig nicht so renditestark wie Kredite und schwerer zu argumentieren als reine Bürgschaften. Folglich ist die Idee gemeinsamer europäischer Projektanleihen Seifenblasenpolitik. Die Beteiligten müssen über ihren Schatten springen und sich das Unvermeidliche eingestehen.
Sicherlich, ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion birgt ungewisse Risiken. Jedoch der Sicherheit eines schleichenden Staatsbankrots der Unsicherheit potenzieller Risiken Vorzug zu geben ist feige. Der Austritt würde der Union die benötigte Ruhe verschaffen sich angemessen auf die anderen Krisenstaaten zu konzentrieren. Deren Wirtschaften sind noch weitestgehend intakt und lassen sich entsprechend über Reformen und Sparwillen aufpäppeln.

Darüber hinaus sind weitere Investitionen in Strukturprogramme notwendig, welche die Ressourcen aus EFSF und ESM beanspruchen werden. Diese sollten den funktionierenden Wirtschaften vorbehalten werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit lediglich über das Herabsenken der Lohnstückkosten, sowie der Abwertung einer eigenen Währung herzustellen vermag. Der Verbleib in der Eurozone und die Refinanzierung über die Kapitalmärkte bricht den Hellenen das Genick.

Mit der Unterstützung von EU und IMF kann ein eigenständiges Griechenland mit neuer Drachme wesentlich effektiver und im Besonderen weniger zu Lasten der Bevölkerung „restauriert“ werden. Die Rückkehr an den Kapitalmarkt und in die Währungsunion sollte nach erfolgreicher Konsolidierung in Aussicht gestellt werden. Was fehlt ist bisweilen der Mut, das Unvermeidliche endlich auszusprechen und den griechischen Euro zu Grabe zu tragen.

Montag, 5. Dezember 2011

Jetzt schlägt’s 13! Der Euro naht der Implosion.

Es ist ein Trauerspiel. Ein europäisches Jahrhundertprojekt steht dem Scheitern so nah, dass die Alarmsirenen in den Hauptstädten anschlagen sollten, bis sie niemand mehr überhört. Größtenteils tun sie das auch. Nur Berlin ist taub. Nur Merkel und Schäuble sträuben sich vehement gegen ein rigoroses Durchgreifen – aus Angst vor dem Parlament, als Getriebene der Investoren und als Ahnen einer konservativen Notenbankpolitik. Dabei ist die Zeit für Prokrastination und Taktieren vorüber. Die Märkte und die Menschen (ausgenommen den krisenresistenten Deutschen) warten auf einen Durchbruch, sonst droht der Zusammenbruch.
Ökonomen gehen bereits von einer Ausfallwahrscheinlichkeit der gesamten Euro-Zone von 30 Prozent aus. Einige Analysten schwarzmalen sogar 70 Prozent. Jedwede Rettungsaktion scheint die Implosion lediglich aufzuschieben. Die Ratings der 4 Loser, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien (PIGS-Staaten) befinden sich dort, wo die Zinsen deutscher Anleihen ausharren: im Keller. (Ausgenommen Irland, was sich dank seiner starken Exporte wieder berappelt.) Diese Staaten sind, auch wenn sie sich noch teilweise am Finanzmarkt kapitalisieren können, allein durch ihre Zinslast nicht refinanzierungstauglich.
Die Briten nennen es Bazooka, ich nenne es Entschlossenheit. Bisweilen fehlt die Erkenntnis über die Ernsthaftigkeit der Lage. Wir brauchen schnellsten eine Feuerbekämpfung, welche auch das letzten Schwelen erdrückt. Dazu müssen die PIGS vorerst vom Anleihemarkt genommen werden, um die untragbare Zinslast abzuwenden und den nötigen finanziellen Spielraum zu schaffen, der für die Ankurbelung der Wirtschaft notwendig ist (also zeitweilig die Euro-Zone von 17 Euro-Staaten auf 13 schrumpfen). Denn durch die Geizerei hat sich die Schuldenlast im Gegensatz zur Konjunktur, nicht merklich verringert. Ohne Zweifel ist für den Fortbestand der Euro-Zone eine Harmonisierung der Volkswirtschaften obligatorisch. Ich bezweifle jedoch, dass Merkel die Bundesrepublik auf das Niveau der Krisenstaaten herunterwirtschaften möchte. Sie dürfen im Spardiktat nicht darnieder gedrückt werden, sondern müssen gleichziehen – auf deutschen Niveau (angeblicher ökonomisch germanischer Imperialismus hin oder her).
Da hilft es auch nicht, auf deutsche Befindlichkeiten in der Währungspolitik Rücksicht zu nehmen. Selbst Frankreich ziert sich vor dem Ausscheren aus Bundesbank-Präsident Jens Weidmanns Linie: kein EZB-Geld zur Schuldenfinanzierung einzelner Staaten. Zugegeben, das Mandat der EZB ist in dieser Hinsicht sehr restriktiv. Aber es wird wohl kaum jemanden geben, der lebendige Erinnerungen an die Hyperinflation der zwanziger Jahre hat und diese erneut fürchtet (welches das Hauptargument der Falken, also der Inflationsparanoiden ist). Schließlich kann sich die EZB ihr Mandat auch in die Haare schmieren, sollte es keinen Euro mehr geben.
Als nächster Schritt sind Euro-Bonds auf den Weg zu bringen. Ressentiments sind fehl am Platze. Es gibt tragfähige Modelle, die die Bedenken der Bundesregierung ausräumen. Eines habe ich bereits im Spätsommer vorgeschlagen. Nur so lässt sich verhindern, dass die EZB den Liquiditätsbedarf einzig und allein durch die Notendruckereien deckt. Ihr, der ESFS oder welcher Institution auch immer, muss der Zugang zum Markt offen bleiben. Dies gilt auch, wenn das Interesse der exoeuropäischen Investoren an Euro-Schuldtitel bisweilen geschrumpft ist. Die maue Nachfrage nach deutschen Anleihen hat letztlich nichts mit der Risikoaversion derer zu tun, sondern dass diese das Vertrauen in die gesamte Euro-Zone verloren haben und Bundesanleihen nur mickrige Zinsen abwerfen.
Schlussendlich sind Euro-Bonds und die Öffnung der Schotten für Zentralbankkapital jedoch nur die Feuerwehr. Dagegen ist das Verhalten der deutschen Regierung ein Brandbeschleuniger. Dabei steht das Fundament bereits lichterloh in Flammen. Sollte die Euro-Zone kollabieren, ist nicht nur ein europäischer Traum gescheitert - was auch ich persönlich als höchst bedauerlich empfinde -, es droht eine globale Rezession und die Bedeutungslosigkeit Europas, wirtschaftlich und politisch. Die deutsche Volkswirtschaft würde die langfristigen Kosten einer Wiedereinführung der D-Mark nicht tragen können: eine ungeheure Aufwertung ist unumgänglich, die Stütze der deutschen Wirtschaft, der Export, dürfte einbrechen, Massenarbeitslosigkeit, Neonationalismus und das Ende der europäischen Integration - wir befänden uns erneut in einer pre-Maastricht-Epoche.
Um das brennende Euro-Haus also nicht nur zu löschen, sondern auf solidere Grundfesten zu stellen, ist eine langfristige Vision von Nöten, die politischen Mut und das Bekenntnis zu mehr Integration, wirtschaftlicher Koordination und haushaltspolitischer Macht der EU-Kommission erfordert, sowie der streikenden Bevölkerung die Legitimität Brüssels verdeutlicht und das Streben nach den USE (United States of Europe) zu einer gemeinsamen europäischen Sache werden lässt.
Europa und der Euro sind zu wertvoll, um sie Merkels Unmut und Zaghaftigkeit zu opfern! Wir brauchen eine Explosion politischen Verantwortungsbewusstseins, andernfalls erleben wir die Implosion der Euro-Zone.

Donnerstag, 10. November 2011

Noch 18 Tage um die Welt zu retten – Klimaverhandlungen drohen erneut zu scheitern

Nein, es ist nicht Griechenland, das droht die Welt in den Abgrund zu reißen. Dieses Mal nicht. Es ist eine wesentlich existenziellere Bedrohung: die des Planeten. Denn die Vereinten Nationen sind weiterhin Meilen davon entfernt, sich auf ein Post-Kyoto-Protokoll zu einigen. Das sollte ursprünglich mit dem Auslaufen des bestehenden Abkommens 2012 ratifiziert werden. Doch die bis dahin letztmalig tagende UN-Klimakonferenz verspricht wenig Verheißungsvolles.
In 18 Tagen, am 28. November treffen sich die Vertreter der 193 Mitgliedsstaaten in Durban, Südafrika um erneut um die Zukunft der Erde zu feilschen. Die Chancen das Ruder nach der langen Serie ergebnisloser Konferenzen doch noch herumzureißen stehen jedoch äußerst schlecht.
Seit 2005 (Nairobi) einigte sich die Staatengemeinschaft lediglich auf die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung afrikanischer Staaten, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen (2009, Kopenhagen) und das Kyoto-Protokoll weiterhin bis 2012 umzusetzen (2010, Cancun). Die Bilanz ist mager. Noch dazu hat der weltweit größte Klimasünder, die USA, das Protokoll bislang lediglich zur Kenntnis genommen.
Großartig. Selbst das 2 Grad Celsius-Ziel scheint zum Scheitern verurteilt. Denn der Energieverbrauch steigt weltweit kontinuierlich rasant an. So hat die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrer jüngsten Studie berechnet, dass der Energiekonsum bis 2035 um ein zusätzliches Drittel steigen wird. Und wer trägt die Schuld daran? In erster Linie vornehmlich die Schwellenländer. Doch dieser Schluss ist zu kurz gedacht.
Die Industriestaaten sind in der Verantwortung den aufsteigenden Ländern die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu ermöglichen, jedoch nicht auf Kosten des Planeten. Energiefonds, CO2-Ausgleichsmodelle, Innovationshilfe usw. – alles bereits ersonnen. Und doch nicht umgesetzt. Inmitten der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise haben die Regierungen auch durchaus andere Verpflichtungen. Um das Klima zu retten braucht es aber nicht Merkel und Sarkozy am Verhandlungstisch, sondern Experten und Diplomaten. Und just in diesen schweren Zeiten wirft eine Studie der Umweltverbände der deutschen Regierung vor, zu nachlässig CO2-Zertifikate verteilt zu haben und somit zum Anstieg der Emissionen beizutragen. Denn der im Kyoto-Protokoll angedachte Emissionshandel folgt der Logik, dass Unternehmen zukünftig für Emissionseinsparungen belohnt werden, da sie für Verschmutzungsrechte bezahlen müssen. Nur doof, wenn sie diese kostenlos vom Staat zugeteilt bekommen und sie gewinnbringend veräußern können. Zum Wohle der Wettbewerbsfähigkeit, heißt es.
Wettbewerbsfähigkeit? Spielt Wettbewerbsfähigkeit eine Rolle beim Schutz der Natur? Schließlich geht es auch hier um den Erhalt unserer Erde für die nachfolgenden Generationen. Dieses Ansinnen, welches momentan so wenig zählt, war allerdings jüngst das Hauptargument für den plötzlichen Atomausstieg der schwarz-gelben Regierung. Dass dieser noch dazu von den Grünen unterstützt wird, einer Partei, die sich im Kern dem Wohle der Natur verschrieben hat, wird nun auch die als so fortschrittlichen Ambitionen der Deutschen ad absurdum führen. Denn der Atomausstieg hat bereits jetzt nachweislich die deutschen CO2-Emissionen ansteigen lassen.
Die Vorreiterrolle ist hin. Und damit auch die moralische Drohkulisse und eine Vision, mit der sich die Kleinstaaterei überwinden lässt. In der Konsequenz leidet die gesamte Weltbevölkerung – die Pole schmelzen, Wetterextreme nehmen zu, Missernten und Dürren treffen die Ärmsten. Allerdings ist es wenig gewinnbringend, den Regierungen allein diesen Missstand anzuheften und mit der Eigenverantwortung zu warten, bis der Kampf gegen die Erderwärmung durch die Parlamente legitimiert ist. Die Bevölkerung, insbesondere der entwickelten Welt, da sie über eine ausreichend gedeckte Lebensgrundlage verfügen, muss endlich selbst einen eigenen Klimaschutz lostreten und am besten bei sich zu Hause damit beginnen. Denn der Beitrag, den die Bevölkerung zu leisten vermag, ist größer als angenommen. In Deutschland verursachen beispielsweise Haushalte und Verkehr knapp 36 Prozent der CO2-Emissionen. Das Einsparpotenzial ist enorm.
Zum Schutze unseres Planeten genügt es nicht mehr, auf ein Beschluss der Vereinten Nationen zu warten. Die Länder selbst müssen die Initiative ergreifen und ihre Bürger zu umweltbewussten Weltverbesserern umerziehen. Nur so ist die Welt noch zu retten. Andernfalls ist der Kollaps der Eurozone das geringste, was uns bevorsteht.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Obama spielt die Angstkarte - Iranischer Mordkomplott dient dem Wahlkampf

Die Verwirrungen um den Mordkomplott an den saudischen Botschafter in den USA könnten größer nicht sein. Der Iraner Manssor Arbabsiar, ein hoffnungslos erfolgloser Autoverkäufer in Texas, soll auf Kommando der berüchtigten Kuds-Brigaden mexikanische Drogenbarone beauftragt haben, den Botschafter Adel A. Al-Jubeir umzubringen. Glücklicherweise ist er dabei den Fahndern der amerikanischen Drogenpolizei ins Netz gegangen. Prompt war die Rede von Staatsterrorismus, denn kein anderer als die iranische Führung selbst soll den Auftrag erteilt haben. Die ist sichtlich darum bemüht jegliche Zusammenhänge abzustreiten und den Spieß umzudrehen. Der Einschätzung der amerikanischen Regierung schließen sich jedoch anerkannte Kenner der iranischen Politik nicht an. Denn auffallend sind die Ungereimtheiten der Tat. Sie sei viel zu stümperhaft geplant und durchgeführt worden. Auch der Mittelsmann sei eine denkbar falsche Wahl gewesen. Und einleuchtende Motive fehlen ebenso. Die Granden der iranischen Revolution, allen voran Chamenei, sind in der Vergangenheit nicht damit aufgefallen Außenpolitik auf den Boden anderer Nationen zu betreiben.
Drum gibt es mittlerweile so mancherlei Theorien, die versuchen das Unerklärliche zu erklären. Ziel der Mission war anscheinend nicht die Tötung des saudischen Botschafters, zumindest nicht unmittelbar, sondern die Schwächung Ahmadinedschads innerhalbd des Irans. So vermuten es so manche Experten. Der Revolutionsführer Chomenei ist seit der zweiten Amtszeit von Präsident Ahmadinedschad, seinem eigentlichen Ziehsohn, äußerst verärgert über seine Regierungsarbeit. Dieser hatte unter anderem versucht, das Kabinett umzubauen und einiger der Minister loszuwerden, die unter Chomeneis Gnade standen. Es kam, für iranischer Verhältnisse, offen zum Bruch. Und nun, so eine mögliche Erklärung, soll der Präsident als unhaltbar denunziert werden.
Denkbar wäre aber auch der umgekehrte Weg. Ahmadinedschad will Chomenei absäbeln. Es entwickelt sich somit zum Selbstläufer und entzieht sich amerikanischer Außenpolitik. Und doch trommelt Barack Obama lautstark die Terrorpauken. Ein Angriff auf Vertreter ausländischer Staaten, noch dazu dem wichtigsten Verbündeten in der Golfregion, auf amerikanischem Boden sei eine Kriegserklärung. Auffallend schnell und direkt waren die Täter öffentlich an den Pranger gestellt und es wurde mit Konsequenzen bis zum allerletzten Mittel gedroht. Zu schnell. Und so drängt sich einem der Schluss auf, Obama will seinem Image als Vollstrecker der amerikanischen Sache gerecht werden, das ihm seit der Exekution von Osama bin Laden anhaftet. Denn es brachte ihm wertvollen Zuspruch vom Wahlvolk, etwas, das ihm nach seiner Yes, we can-Kampagne so schnell abhanden kam wie die politische Durchsetzungskraft in Senat und Kongress.
Die Demokraten haben sich, im Gegenteil zu den Republikaner, sehr bedeckt im Vorwahlkampf gehalten. Denn zum einen fehlen große Erfolge auf die verwiesen werden kann. Und zum anderen verspricht die Zukunft nichts Gutes. Die amerikanische Politik ist momentan ein Fiasko, überparteilicher Konsens Fehlanzeige, eine fortschrittliche Vision nicht vorhanden, die politische Agenda ein Flickenteppich. Die Demokraten sind schlau genug, die Misserfolge nicht Obama in die Schuhe zu schieben und einen neuen Kandidaten zu suchen. Das wäre unglaubwürdig. Doch der Fall um Arbabsiar scheint eine willkommende Gelegenheit endlich in den Wahlkampf einzusteigen und sich auf ein Thema einzuschießen, mit dem auch schon George W. Bush Erfolg hatte: die Angst vor dem unsichtbaren Feind und Terrorismus auf amerikanischem Boden.
Und die Amerikaner zeigen sich für solche Themen überaus dankbar. Sie lassen sich gerne von einer diffusen Bedrohung einschüchtern und verängstigen. Sie brauchen einen starken Mann, der kompromisslos für ihre Sicherheit bürgt. Und sie sehnen sich nach einem Beschützer der auch vor einem Angriff auf den Iran nicht zurückschreckt. Mit Krieg lassen sich die Parteigrenzen überwinden. Mit Terror kann der Stillstand beendet werden. Und mit ängstlichen Bürgern kann man leicht Wahlkampf treiben. Darauf setzt Obama jetzt. Denn andere Themen sind schwerlich geeignet um die Mehrzahl der Stimmen zu bekommen.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auf dem Zwischenfall Konsequenzen folgen werden. Weitere Sanktionen gegen den Iran sind bereits beschlossen. Ein militärisches Einschreiten ist zwar gänzlich abwegig, würde aber anbetracht der Vergangenheit nicht überraschen.
Obama hat seinen Zauber verloren. Die Jungen, Einwanderer, von der Finanzkrise gebeutelte, Umweltaktivisten, Senioren, Veteranen, sie alle mussten mit ansehen, wie ihre Hoffnungen in den Mühlen des Kongresses zerrieben wurden. Doch der Patriotismus eint alle Amerikaner und so kann Obama darauf setzen, sie mittels angsteinflößender Bedrohungen wieder einzufangen. Es ist schade, dass er sich somit in die Reihe der Präsidenten fügt, die sich über die Gefährdung der amerikanischen Souveränität positionieren anstatt weiterhin erbittert für seine Wahlversprechen zu kämpfen und sie mehr denn je durchzusetzen zu versuchen. Andererseits veranlassen ihn die Mehrheitsverhältnisse in Senat und Kongress auch, sein Unvermögen sich nicht durchsetzen zu können, einzugestehen anstatt weiterhin auf Luftschlösser zu setzen.
Die Aufklärung des Mordkomplotts ist dabei nachrangig. Vielmehr war sie ein willkommener Anlass um nun auch thematisch in den Wahlkampf einzusteigen. Und desillusioniert werden Obamas Wähler erneut ihre Stimme für ihn abgeben, aus Angst vor dem Terror.

Dienstag, 16. August 2011

Die Eurobonds sollen kommen – Ein Vorschlag

Die Diskussionen um Eurobonds, also gemeinschaftlich begangene Anleihen der Eurozone, werden neuerdings hitziger. Ganz Europa ist in die Idee gemeinsamer Schulden verliebt, noch dazu mit der Mitgift niedriger Zinsen. Nur die Bundesregierung sträubt sich noch mit allen Mitteln, schließlich müssen Investoren im Moment sogar für das Halten von Bundesanleihen drauf zahlen, rechnet man die Inflation mit.
Und die Kritik ist nachvollziehbar:
a) Keine Anreize zum Sparen: Dadurch, dass sich Staaten, unabhängig ihrer individuellen wirtschaftlichen Rahmendaten zu einem Zinssatz verschulden können, der die Bonität der gesamten Eurozone widerspiegelt, müssen sie nicht für die Risiken die mit einer hohen Staatsverschuldung einhergehen, bezahlen. Dies ist üblicherweise der Fall, da Investoren das erhöhte Risiko in einem höheren Zinssatz einpreisen.
b) Geringes Kapitalpolster: Die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) ist nicht in der Lage, sollte es zu einem Zahlungsausfall mehrerer Schuldnerstaaten gleichzeitig kommen, die Forderungen der Gläubiger zu bedienen. Mit einem finanziellen Polster von 440 Milliarden Euro und den bereits vergebenen Krediten an Griechenland und Co., ist der Spielraum äußerst gering.
c) Hohe Kosten: Staaten, deren individueller Zinssatz unterhalb dem Eurobond-Zinsen liegt, müssen theoretisch draufzahlen, um die höheren Finanzierungskosten anderer Staaten zu subventionieren.
Diese Nachteile ergeben sich aus dem bisher angedachten Konstrukt für die Eurobonds. Das gegenwärtige Konzept sieht vor, dass sich Staaten zu 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts über Eurobonds und dem damit verbundenen Zinssätzen verschulden können. Dies entspräche dem Euro-Stabilitätspakt. Alle weiteren Schulden werden, wie bisher gehandhabt, selbst begangen und finanziert, überschreiten jedoch die Maastricht-Grenze.
Um der Kritik zu begegnen schlage ich eine Anpassung dieses Konzepts vor: Der Vorteil der Eurobonds, nämlich die geringen Finanzierungskosten für die Gemeinschaft, soll erhalten bleiben. Diese beruhen auf der Absicherung der EFSF gegen ein Ausfallrisiko der Schuldner. Da die EFSF weiterhin auf Anfrage des Schuldnerstaats Bonds ausgibt ist dies weiterhin gewährleistet. Ferner, soll auch für diese Bonds der Gemeinschaftszins gelten. Dieser wird, wie bei gewöhnlichen Staatsanleihen vom Markt bestimmt und ist durch die verlangte Risikoprämie der Investoren determiniert.
Der Unterschied zum bisherigen Modell besteht darin, dass der Schuldnerstaat jedoch auch für die von ihm initiierten Eurobonds einen Individualzins bezahlen muss, und zwar an die EFSF. Dieser wird direkt von eben solcher ermittelt und beruht auf wirtschaftlichen Fundamentaldaten, wie Gesamtverschuldung, Produktivität, Wirtschaftswachstum und Bonität. Eventuell ist eine Orientierung an den Kreditratings ebenfalls sinnvoll. Da für die meisten Staaten gilt, dass ihre Zinslast die der Eurobonds übersteigt, kommt es zu einem Überschuss. Die Differenz soll in zwei Fonds fließen. Der Krisenfonds soll für etwaige zukünftige Zahlungsschwierigkeiten einzelner Staaten zur Verfügung stehen und die Kapitaldecke der EFSF aufstocken. Ein Überschussfonds dient den Staaten, deren Finanzierungskosten unterhalb des Eurozinssatzes liegen. Da deren Zahlung wiederum um die Differenz zum Gemeinschaftszins aufgestockt werden müssen.
Auf Dauer wird jedoch angenommen, dass die mit der Einführung von Eurobonds notwendige wirtschaftliche Integration der Eurozone zu einem angleichen der individuellen Zinssätze führen wird. Die sogenannte Fiskalunion wird also auf lange Sicht den Kritikern ihre Munition nehmen.


Die Verschuldung über die Maastricht-Grenze hinaus wird weiterhin wie gewohnt direkt über den Markt gehandhabt. Sollten im Zuge engerer wirtschaftlicher Abstimmung auch andere Staaten, neben Deutschland, eine Schuldenbremse einführen, dürfte die Nettoneuverschuldung auf ein minimales Niveau sinken und innerhalb der Maastricht-Kriterien liegen.
Mit Hilfe dieses Modells lässt sich somit die hauptsächliche Kritik an Eurobonds begegnen und ein Anreiz zum langfristigen Sparen schaffen. Staaten mit solider Bonität müssen für andere Staaten keine zusätzlichen Finanzierungskosten in Kauf nehmen und die EFSF erhält genügend Kapital um zukünftigen Krisen ausreichend entgegenwirken zu können. Dabei bleiben die Vorteile der Eurobonds, niedrige Finanzierungskosten für den gesamten Euroraum, weiter erhalten und Europa wächst auch auf wirtschaftlicher Ebene näher zusammen. Nur auf diesem Wege ist ein stabiler Währungsraum langfristig gesichert und den Spekulationen endlich der Wind aus den Segeln genommen.

Montag, 15. August 2011

Showdown in Nahost – Angekündigte Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser bringt Israel unter Zugzwang

Bis zum 20. September soll es soweit sein: Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, wird die Aufnahme Palästinas als unabhängigen Staat in die Uno Vollversammlung beantragen. Der genaue Termin ist noch unklar. Fest steht allerdings, dass, solang der Libanon den Vorsitz der Vollversammlung innehat, der Antrag vor der Sitzung der Generalversammlung am 20. September eingebracht werden soll.
Sicherlich, ein Erfolg Abbas ist ausgeschlossen. Die USA haben mit ihrem Stimmgewicht, im Einvernehmen mit Israel, einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung fernab des Verhandlungstischs eine Absage erteilt. Und Israel macht keinen Hehl daraus, hinter sich eine Koalition von 50 bis 70 Staaten zu scharen, die dem Entwurf ebenfalls ablehnen werden. Ob dieses Ziel aber erreicht wird, ist nach einer Reihe von Solidaritätsbekunden für die palästinensische Sache, insbesondere von Staaten Lateinamerikas und Afrikas, noch abzuwarten. Mit den USA in der Hinterhand, hat Netanjahu jedoch den Joker. Letztlich dürfte Palästina jedoch zu einem staatlichen Nichtmitglied erklärt werden, wofür eine einfache Mehrheit genügt und das es ihm erlaubt, Mitglied in allen UN-Organisationen zu werden.
An und für sich also ein unspektakuläres Prozedere. Doch mittlerweile laufen sich die Parteien warm, denn sie sind sich über die Symbolwirkung des Antrages wohl bewusst: Palästina soll aus dem Boden gestampft werden und verhandelt werden kann später. Dabei ist Abbas in einer durchaus komfortablen Lage. Er und seine Behörde können zusehen, wie Israel panisch versucht, die Symbolhaftigkeit zu zerstreuen und widersprüchliche Signale aussendet.
Avigdor Liebermann, Außenminister, erwartet blutige Ausschreitungen nach dem Scheitern des Antrags in der Generalversammlung. Vize-Premier Moshe Ya’alon rechnet bereits damit, den Palästinensern eine Lektion dafür erteilen zu können „die sie nie vergessen werden“. Auf der anderen Seite beschwichtigt Außenminister Ehud Barak. Er sieht keinerlei Gewaltausbrüche voraus und betont, eine militärische Aufrüstung sei nicht geplant. Die Fronten an den Grenzen zu Syrien, Libanon und dem Gaza-Streifen sind ohnehin jüngst aufgestockt worden. Gleiches gilt für die Polizeikräfte im Westjordanland. Und nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit baut Israel seine Grenzanlage zu Syrien mithilfe eines „Separationszauns“ in den Golanhöhen aus. Zusätzlich werden entlang der Demarkationslinie neue Landminen verlegt.
Also wird doch ein Ansturm von palästinensischen Flüchtlingen auf Israel erwartet? Und Israel wird sie gegen ein Heer von Soldaten und einem Zaun stürmen lassen. Sollten sie diesen überwunden haben, werden sie von den Minen in Stücke gerissen. Wer daraufhin den schwarzen Peter zugeschoben bekommt, liegt auf der Hand. So wie bereits geschehen, als Flüchtlinge im Mai und Juni über die Grenzen hinwegzuströmen versuchten und das Militär schlicht aus Ausweglosigkeit sich nicht anders zu behelfen wusste, als mit den Waffen.
Doch die Situation ist dieses Mal eine andere. Die damaligen Grenzstreitigkeiten wurden vermutlich vom syrischen Regime inszeniert, um von den immer noch anhaltenden Protesten der syrischen Opposition abzulenken. Dieses Mal ist es die palästinensische Autonomiebehörde, die ihre Bevölkerung instrumentalisiert. Denn es ist klar, Abbas wäscht seine Hände in Unschuld indem er sich auf die Grenzen von 1967 beruft und damit auf ein völkerrechtlich bindendes Abkommen. Dabei macht er sich das wahrscheinliche Aufbegehren der Palästinenser nach der vergeblichen Abstimmung im Sicherheitsrat zunutze: dadurch, dass das Militär keine andere Wahl hat, außer die einströmenden Massen zurückzudrängen, kann sich Abbas auf die Gewaltbereitschaft der Israelis berufen. Damit ist Abbas weiterhin in der Lage, die kritischen Stimmen über Israels Politik zu vermehren und es unter Zugzwang in den Friedensverhandlungen zu bringen.
Zweifelsohne scheint das die Taktik der Autonomiebehörde zu sein. Und bisweilen ist sie erfolgreich. Ressentiments gegenüber dem jüdischen Staat nehmen weltweit zu, manchmal auch nicht von Antisemitismus zu unterscheiden. Beide jedoch gleichzusetzen, wie viele israelische Politiker es der Einfachheit halber pflegen, ist schlicht falsch. Vorfälle wie die Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Krieg 2008/2009, die Erstürmung der vermeidlichen Hilfsflotte für den Gaza-Streifen oder die besagte Erschießung grenzüberschreitender Flüchtlinge erhöhen den Druck der Weltgemeinschaft auf die israelischen Seite, in den Friedensverhandlungen mit den Palästinenser mehr Zugeständnisse zu machen und quasi Reparationszahlungen zu leisten.
Auch bei einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung dürfte Abbas dieses Kalkül verfolgen und Israel als verhandlungsunwillig bezeichnen. Zugegeben, auch Israel schafft mit dem weitervoranschreitenden Siedlungsbau stetig neue Fakten. Doch wer die Frustration und Wut der Israelis bedingt durch hohe Immobilienpreise und Wohnungsmangel begreift, versteht den Handlungszwang der Regierung ein Stück weit.
Tatsächlich ist es jedoch die palästinensische Autonomiebehörde, die den Verhandlungstisch meidet. Mit dem Verfolgen einer aussichtslosen Unabhängigkeitserklärung braucht sie sich nicht im Friedensprozess zu engagieren und kann nach dem Scheitern bei vermeidlichen Ausschreitungen Israel der Schuld bezichtigen. Notleidende sind dabei die Palästinenser, die geopfert werden und gemeinsam mit ihnen die Israelis, die erneut um eine friedliche Lösung gebracht werden. Israel muss, trotz der Unabhängigkeitsbestrebungen, wieder konstruktiv in die Verhandlungen einsteigen. Und die Palästinenser sollen endlich ihre Opferrolle ablegen, in die sie sich selbst navigieren. Nur wenn beide Seiten sich auf friedliche Verhandlungen einlassen, ohne kontinuierlich Fakten zu schaffen, besteht der Hauch einer Hoffnung, dass dieser elendige Konflikt endgültig aus der Welt geräumt werden kann.